30-Jahr-Feier der Königsteiner Akademie

Akademiegründer Wilhelm Engel im Interview:

"Die Kraft einer innovativen Idee verbindet."

Katja Rühl: Herr Engel, Sie sind jetzt 30 Jahre unermüdlich im Einsatz für den zwischenmenschlichen Dialog. Gab es dazu ein Schlüsselerlebnis und können Sie uns sagen, wieso genau der Dialog Ihnen so sehr am Herzen liegt?

Wilhelm Engel: Ja, weil die tägliche Dialogführung einen beträchtlichen Einfluss auf unser Denken hat und von großem gesellschaftlichen Nutzen ist. Ich unterscheide deutlich zwischen Dialog und Diskussion, weil da am Schluss ganz unterschiedliche Ergebnisse stehen. Ich habe früher viel diskutiert und plötzlich, es war auf dem Heimweg, nachts um halb drei, ging ich aufgewühlt – und unzufrieden – nach Hause. Mein Gesprächspartner war nicht zu überzeugen gewesen – ich auch nicht. Da dachte ich mir, nein, das ist nicht das Richtige für mich.

Heute denke ich, dass Diskussionen und der Zusammenprall von Meinungen immer stattfinden, wenn es darum geht, die eigene Meinung durchzusetzen, Recht zu behalten und sich persönlich zu profilieren. So etwas eskaliert sehr schnell und endet oft in Feindschaft, Streit und Krieg.Man braucht eigentlich nur die Zeitung aufzuschlagen, um die Ergebnisse der heute vorherrschenden
Diskussionskultur zu erkennen. Was hier fehlt ist Dialogfähigkeit und Dialogbereitschaft. In einem konstruktiven Dialog geht es darum, dem anderen zuzuhören, ihn zu verstehen und gemeinsam eine Lösung zu finden.

Katja Rühl: Wie sind Sie darauf gekommen, die Dialogfähigkeit zu trainieren wie  im Sport?

Wilhelm Engel: Ich war viele Jahre Manager in den Adlerwerken in Frankfurt. Damals gab es noch Schreibmaschinen. Ich war dort Leiter der Fertigungssteuerung. Als jüngste Führungskraft, die direkt von der Schule gekommen war, hatte ich es anfangs nicht leicht.

Die anderen Führungskräfte kamen damals vorwiegend von der Ostfront – sie arbeiteten noch nach dem Motto „Siegen oder Sterben“ am Wirtschaftswunder. Sie litten fast alle unter der sogenannten Managerkrankheit, dem Herzinfarkt. Meine beiden Vorgänger sind infolge eines Herzinfarkts ausgeschieden. Aber für mich als Sportler war das eigentlich kein Thema.

In einer damals von mir angefertigten Statistik stellte ich fest, was die häufigsten Ursachen unerfreulicher Diskussionen, Streitereien und betrieblicher Störungen darstellen: Etwa 20 Prozent waren technische Störungen, weitere 20 Prozent waren fehlerhafte Arbeit, aber 60 Prozent waren zwischenmenschlich bedingt.

Da wurde mir klar, dass ein besseres Miteinander erheblich weniger Produktionsstörungen und ein besseres Betriebsklima zur Folge hätten. Danach habe ich Vorträge zum Thema Dialogführung gehalten und tatsächlich nickten alle und stimmten zu.

Doch geändert hat sich nichts. Und da kam mir eben die Idee, Dialogfähigkeit wie im Sport zu trainieren.

Katja Rühl: Und nun meine letzte Frage: Möchten Sie uns zum Abschluss noch etwas mit auf den Weg geben?

Wilhelm Engel: Es ist die Sache mit der Aufmerksamkeit. Der Umgang mit der eigenen Aufmerksamkeit ist hier der rote Faden. Denn was du nicht wahrnimmst, kannst du auch nicht verbessern. Man selbst bemerkt vieles nicht, das einen persönlich betrifft. Und deshalb kommen in unseren Seminaren die Kybernetik und die Rückkopplung ins Spiel. Denn die anderen sehen sehr schnell, wenn etwas nicht stimmt.

Es gibt zum Beispiel Leute, die können fantastisch gut reden. Wow, denkst du. Aber sie hören nicht mehr auf damit! Sie benutzen ihre Zuhörer  als Aufmerksamkeitslieferanten. Es gibt Zusammenhänge, an die wir uns so gewöhnt haben, dass wir sie nicht mehr bewusst wahrnehmen. Zum Beispiel die Schwerkraft, wer denkt schon an die Schwerkraft? Aber wenn sie auch nur für den Bruchteil einer Sekunde aussetzen würde, wäre das eine Katastrophe. Und so ist es auch eine Katastrophe, wenn du mit unaufmerksamen Menschen zusammen bist. Das nimmt dir die Energie und macht das Leben trist und grau. Wenn du selbst noch aufmerksam sein kannst und aufmerksame Menschen um dich hast, ist das für dich und deine Dialogpartner ein sehr großes Geschenk.